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Tee im Harem des Archimedes, Mehdi Charef – Rezension

Der Autor Mehdi Charef wurde 1952 in Algerien geboren. Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts fand sein Vater Arbeit im Straßenbau in Frankreich und ließ seine Familie nachkommen. So lernte Mehdi Charef die Banlieues sehr gut kennen und träumt davon, zu schreiben. Zunächst arbeitet er allerdings in einer Fabrik, kommt von seinem Weg ab und landet im Gefängnis. Nach seiner Haft schwört er sich, das Gefängnis nie wieder von Innen zu sehen und nach weiteren 10 Jahren in der Fabrik publiziert er seinen ersten Roman „Tee im Harem des Archimedes“, der sofort ein großer Erfolg wird.

Tee im Harem des Archimedes

Zu Papier gebrachte Hoffnungslosigkeit – junge Algerier in Paris

Paris, in den 80er jahren des vorigen Jahrhunderts: in den sog. „Banlieues“ (frz.: „Bannmeilen“), den berüchtigten Sozialsiedlungen am Rand der Stadt, lebt Madjid, ein algerischstämmiger Jugendlicher, mit seiner Familie. Die Betonsiedlung ist ebenso grau wie der Alltag des arbeitslosen Jugendlichen, der die meiste Zeit mit seiner Clique abhängt und sich mit Diebereien über Wasser hält.

Tee im Harem des Archimedes

Mehdi Charef: Tee im Harem des Archimedes

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Drogen, jugendliche Banden, Arbeitslosigkeit, Prostitution…die Banlieus sind soziale Brennpunkte. Madjid hat die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zwar noch nicht aufgegeben, wird aber täglich eines Besseren belehrt, denn meist scheitert er beim Bewerbungsgespräch bereits mit seinem Aussehen, welches ihn als Ausländer „brandmarkt“. Sein Kumpel Pat ist völlig desillusioniert; er ist zynisch und träumt von einer Karriere als Gangster.
Ihre Tage verbringen die Jungs zwischen Kneipe, Bordell und auf der Straße. Der Roman endet für Madjid mit dem völligen Verlust seiner Illusionen: im Gefängnis.

Mehdi Charef hat es verstanden, in seinem autobiografisch gefärbten Roman Trost- und Hoffnungslosigkeit zu übermitteln. Selten hat mich ein Buch mit solch pessimistischem Grundtenor so fasziniert wie Tee im Harem des Archimedes. Der Autor schafft es, die Geschichte der Freundschaft zwischen Pat und Madjid und ihren Alltag zu schildern, ohne je den belehrenen Zeigefinger zu heben oder irgendjemanden anzuklagen. Seine Perspektive ist die eines Dazugehörigen, nicht eines Darüberstehenden. Und sogar die seltenen Momente des Humors lassen den Leser schmunzeln, man fühlt sich hineinversetzt in die Jugendlichen, die zwischen Beton und Dreck nicht leben, sondern existieren. Ihr tägliches Elend nehmen sie als selbstverständlich hin und nicht als etwas, was änderbar wäre – und das ist wohl auch realistisch.
Die Unruhen in zahlreichen französischen Städten gegen Ende des vorigen Jahres zeigen, das Mehdi Charefs Roman, obwohl über zwanzig Jahre alt, nichts von seiner Aktualität verloren hat.

Tee im Harem des Archimedes wurde 1985 verfilmt, Regisseur war ebenfalls Mehdi Charef. Der vorwiegend mit Laiendarstellern gedrehte Film gilt als einer der besten Filme des sog. „cinema beur“, in dem sich Filmemacher der zweiten nordafrikanischen Einwanderergeneration mit den Problemen junger Ausländer in den französischen Ballungsgebieten beschäftigen.

Ich empfehle Monsieur Sarkozy, dem konservativen französischen Innenminister, die Lektüre dieses Buches, denn es vermittelt auf alle Fälle eine Einsicht: „Law & Order“ ist kein Allheilmittel.

Veröffentlicht am 18. März 2006


Autor: Mehdi Charef
Gebundene Ausgabe, 212 Seiten
Verlag: Beck & Glückler, 1986


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AfrikaRoman bewertet "Tee im Harem des Archimedes" mit:
  • Gesamtbewertung
5

Über den Autor

Dagmar Iselt

Dagmar ist eines der Gründungsmitglieder des Literaturportals. Sie ist hauptberuflich Bibliothekarin und damit schon per se literaturbegeistert. Außerdem liebt sie es zu laufen, nebenberuflich Pilates zu unterrichten, zu kochen (und zu essen) und in der Welt umherzureisen. Dabei am liebsten im Gepäck: Bücher von Deon Meyer, Henning Mankell oder Chimamanda Ngozi Adichie.

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