Rezensionen

René Maran: Batouala

Der Einbruch des europäischen Kolonialismus in Afrika
Eine Neuveröffentlichung von René Marans afrikanischem Klassiker «Batouala»

René Maran: Batouala

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Von Heinz Hug
In der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es nicht nur die bildenden Künstler, wie Picasso oder Matisse, sondern auch die Literaten, die sich für afrikanische Kulturen interessierten. Die expressionistische Dichterin Claire Goll etwa veröffentlichte 1926 den Roman „Der Neger Jupiter raubt Europa”. Von größerer literaturgeschichtlichen Bedeutung war ihre bereits 1922 erfolgte Übersetzung des Romans „Batouala” von René Maran. Was diese Künstler der Moderne suchten, nämlich die das Leben in den Großstädten kontrastierende Natürlichkeit, das Ursprüngliche, das von der Zivilisation unbeeinflusste Leben, ist in Marans Roman omnipräsent.

Obschon Maran für „Batouala” als erster schwarzer Schriftsteller den Prix Goncourt erhielt und seinen Roman 1938 überarbeitete, gab es keine weitere deutschsprachige Ausgabe dieses Klassikers der afrikanischen Literatur. Nun ist er in der Reihe “Manesse Bibliothek der Weltliteratur” in der späteren Fassung neuveröffentlicht worden, in einer ausgezeichneten Übersetzung von Caroline Vollmann. Dass die Natur einen großen Platz im Roman einnimmt und auch seine Protagonisten in einem naturnahen Zusammenhang gezeigt werden, macht bereits der Eingang des Romans deutlich. Maran schildert minutiös, wie der Tag erwacht und mit ihm die Titelfigur: Batouala erhebt und kratzt sich, gähnt, rülpst und sucht seine Lieblingsfrau Yassigui’ndja auf, um ihr wie jeden Morgen beizuschlafen. Batouala ist das alternde Oberhaupt der Banda, die im Distrikt Oubangui-Chari im heutigen Zentralafrika leben. Da Yassigui’ndja sich mit Batouala zunehmend unbefriedigt fühlt, ist sie anfällig für die Werbungen von Bissibi’ngui, einem jungen Mann, der die Frauen betört. Im Hinblick auf das Wertesystem der Banda wäre gegen eine Affäre der beiden nichts einzuwenden, doch Batouala ist eifersüchtig und nachtragend. Die Beziehungen innerhalb dieses “Dreiecks”, insbesondere der tödliche Konflikt der beiden Männer, bringen die Romanhandlung voran. Sie endet im Tod des älteren.

Der Roman spielt zur Zeit des Ersten Weltkriegs, der Distrikt Oubangui-Chari gehört zu Französisch-Westafrika. In die Romanhandlung verstrickt sind die französischen Kolonisten kaum, dennoch sind sie präsent – in den Köpfen der Afrikaner. Kaum ist Batouala erwacht, denkt er an sie – “Arbeit” ist das Stichwort. Für die Weißen sei sie unabdingbar und bedeute Erschöpfung und Schmerz, er dagegen liebe das Nichtstun, das sich aber “grundlegend von Faulheit” unterscheide. Batouala und die Banda handeln – wenn sie nicht zur Zwangsarbeit bei den Kolonisten eingezogen werden – noch mehr oder weniger wie vor der Kolonisierung. Doch sie sind nicht mehr sich selbst, sie definieren ihre Identität im kolonialen Zusammenhang als Gegensatz zu den Weißen, zu ihrer Lügenhaftigkeit, ihrer Brutalität, ihrem Zeitbegriff, ihrer effizienten und ausbeuterischen Wirtschaftsweise. Die Entfremdung in den Köpfen der Banda ist bereits fortgeschritten, Batouala beklagt öfters die Auflösung der althergebrachten Sitten.

Im Vorwort zu seinem Roman schreibt Maran, der aus der Karibik stammt, in Frankreich die Schulen besuchte und lange Zeit in Oubangui-Chari als Kolonialbeamter tätig war, er erzähle das Leben der Banda und ihres Oberhaupts “ganz objektiv”. Aus erkenntnistheoretischer Sicht ist dieser Anspruch vermessen, und doch unterscheidet sich „Batouala” gerade darin von den allermeisten Berichten europäischer Reisender und Kolonialbeamter. Maran gestaltet die Erzählsituation des Romans so, dass er nicht in europäisch determinierten Bildern von den Afrikanern und ihrem Leben spricht, sondern die Banda selber zu Wort kommen lässt. „Batouala” beginnt zwar mit einem auktorialen Erzähler, doch zunehmend lehnt sich der Erzähler an Batouala, Yassigui’ndja und Bissibi’ngui an. Oft wechselt dieses personale Erzählen zur erlebten Rede und zum Dialog. Bei der Darstellung von Batoualas Sterben in Anwesenheit seiner Gegenspieler verwendet der Erzähler die Anredeform: “Batouala, es ist sinnlos, dass du dich länger darauf versteifst, nicht zu sterben. Siehst du, sie allein existieren. Sie haben dich schon verdrängt. Du zählst nicht mehr für sie.” Mit dieser Form und den verschiedenen eingestreuten Legenden und Geschichten greift Maran auf das für afrikanische Kulturen typische “orale” Erzählen zurück. Das multiperspektivische Erzählen macht die Lektüre dieses Romans nicht nur ungemein lebendig, sondern lässt auch die entworfene Realität authentisch erscheinen.

Maran hat mit „Batouala” keine Idylle geschrieben. Im Unterschied zu den späteren Négritude-Autoren, etwa Camara Laye in „Einer aus Kurussa” (1954), versucht er nicht in erster Linie den “Primitivismus”-Vorwurf der Europäer zu entkräften. Er zeigt Batouala und die Banda keineswegs als “gute Wilde”, sondern in ihrer kraftvollen, zuweilen derben und brutalen, triebhaften Lebensweise. Er beschreibt in die Gesellschaft und ihre Traditionen eingebettete Menschen voll differenzierter Emotionalität, Menschen in ihrem Schmerz und in ihrer Resignation darüber, dass ihre Welt von den Weißen bedroht ist.

René Maran: Batouala. Ein authentischer “roman nègre”. Aus dem Französischen von Caroline Vollmann. Manesse Verlag. Zürich 2007, 254 S., EUR 17.90

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